Cannstatter Stolperstein-Initiative

Malka und Franziska Bartfeld – in Riga verschollen

Was Deportation bedeutet hat Familie Bartfeld schon Jahre vor Beginn der Shoa erfahren. Als nämlich im Oktober 1938 mindestens 15.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit ausgewiesen und sofort an die polnische Grenze transportiert wurden, war auch Franziska Bartfeld von dieser Maßnahme betroffen. Zwar kam sie nach acht Monaten im Lager Zbasyn noch einmal zurück zu ihrer Familie, aber ihre und ihrer Mutter Auswanderung scheiterte - woran auch immer. Am 1. Dezember 1941 wurden Mutter und Tochter nach Riga deportiert und ermordet.

Als Malka Krämer am 2. April 1886 in Kolomea das Licht der Welt erblickte, gehörte die Stadt zur Habsburger Doppelmonarchie und hatte einen jüdischen Bevölkerungsanteil von knapp 50 Prozent. Im Mai 1909 heiratete die 23-Jährige Rafael Moses Bartfeld, mit dem sie ihre Heimat bald darauf verließ und nach Kaiserslautern zog. Ihr Mann meldete sich dort mit der Berufsbezeichnung „Kassierer und Kaufmann“ an. Er war bei einer Firma Resch & Rosenrauch beschäftigt, die als “Möbel- und Warenkredithaus” firmierte. In Kaiserslautern kamen zwei Töchter des jungen Paares zur Welt: Regina am 24. März 1910 und Franziska am 19. November 1911. Eva, die dritte im Bunde, wurde am 7. Juli 1913 bereits in der damaligen Oberamtsstadt Cannstatt geboren. Vielleicht war Abraham Gärtler, dem Inhaber von Resch & Rosenrauch der Erfolg versagt, das Unternehmen ist nur in den Adressbüchern 1911/12 und 1913/14 nachweisbar.1 Jedenfalls zog die Familie am 4. Juni 1912 nach Cannstatt. Bis 1916 wohnten die Bartfelds in der Theobald-Kerner-Straße und seit 1913 in der heutigen Kissinger-, damaligen Christophstraße.

Als Moritz Bartfeld im September 1919 starb, musste seine Witwe drei Kinder im Alter von neun, acht und sechs Jahren versorgen. Sie packte diese Aufgabe zunächst als Kleidernäherin an und betrieb zusätzlich einen Weißwarenversand in der eigenen Wohnung, aber schon ab 1926 firmierte sie als Weiß- und Manufakturwarenhandlung mit Ladengeschäft in der Wildunger Straße. In den Jahren 1929 bis 1933 erwirtschaftete sie, wie ihre jüngste Tochter Eva im Zuge der Wiedergutmachung angab, monatlich 300 bis 400 RM Nettogewinn. Damit dürfte die Familie kein schlechtes Auskommen gehabt haben, zumal Franzika, die Kontoristin war, hat zum Unterhalt beigetragen hat. Evas folgende Aussage wirft ein Schlaglicht auf den Lebensstandard der Familie: „In Cannstatt besaß meine Mutter eine 4-Zimmerwohnung, die gut eingerichtet war. Wir hatten auch ein Klavier, Teppiche, Radio, Grammophon usw.“ Und weiter: „Die Firma lautete auf den Namen meiner Mutter. Während der Krankheit meiner Mutter in den Jahren 1931/32 übernahm ich für diese Zeit die Leitung des Geschäftes. Infolge des Boykotts jüdischer Handelsgeschäfte bzw. der Judenverfolgungen überhaupt, sahen wir uns gezwungen, das Geschäft meiner Mutter Sommer 1933 zu liquidieren.“2 Im Sommer 1939 durfte sie, wahrscheinlich unter der Bedingung sofortiger Auswanderung, zurückkehren.

Malka Bartfeld und ihre Töchter hatten inzwischen erkannt, dass ihnen hierzulande die Daseinsgrundlage entzogen wurde. Das lässt sich daraus erschließen, dass Eva nach Palästina ausgewandert ist und Regina mit ihrem Mann Arnold Gottlieb etwa 1939 über Frankreich nach Amerika entkam.3 Dass auch Malka Bartfeld und Franziska konkrete Auswanderungspläne verfolgten, beweisen Unterlagen der Spedition Barr, Moering & Co. „ Aus ihnen ist zu ersehen, dass der Hausrat der Genannten am 18.07.1939 in einen Lift im Gewicht von 1710 kg und vier Kisten mit zusammen 360 kg verpackt und zunächst im Lager Zuffenhausen der genannten Speditionsfirma eingelagert wurde. Im September 1939 kann [kam] noch eine Kiste mit 57 kg aus Wiesbaden dazu. Der Lift war zum Versand nach Haifa oder Tel Aviv bestimmt, während das in Kisten verpackte Umzugsgut nach Paris versandt werden sollte.Daimlerstraße 22, Stolpersteine verlegt am 16. April 2012. Offenbar infolge des Kriegsausbruchs konnte das Umzugsgut nicht an die Bestimmungsorte abgesandt werden, sondern blieb auf dem Speditionslager. Wie sich aus der Kontokarte ergibt, hat die Erblasserin den Hausrat im April 1941 von dem Versteigerer und Stadtinventierer Kunle4 versteigern lassen. Von dem Erlös wurden RM 664,- zur teilweisen Abdeckung der Lift- und Lagerkosten verwendet.“ Klar geht hieraus hervor, dass Malka und Franziska Bartfeld nach Palästina auswandern wollten. Der Zielort Paris für die Kisten dürfte darauf hindeuten, dass sie das Eigentum der nach Amerika entkommenen Tochter Regina enthielten. Hingegen bleibt die folgende Passage unverständlich: „Auf einer Gutschriftsnota vom 07.11.1941 über einen bis dahin noch offenen Betrag von RM 324,75 befindet sich der Vermerk‚ 5 Kisten und 1 Lift wurden zurückgenommen.“ Die Bartfelds können ihren Hausrat schwerlich zurückgenommen haben, nachdem er zuvor versteigert worden war. Unmöglich war eine Rücknahme auch deshalb, weil die beiden zum Zeitpunkt der Versteigerung ihre Wohnung in der Daimlerstraße längst verlassen hatten. Unter dem Druck der Stuttgarter judenfeindlichen Wohnungspolitik mussten sie 1939 zunächst in der Johannesstraße, wenige Wochen später dann in der Gaussstraße bei jüdischen Frauen als Untermieterinnen eines einzigen Zimmers unterschlüpfen.

Räumlich beengt und ohne Einkommen, unzureichend ernährt und zuletzt durch den Judenstern stigmatisiert mussten die beiden Frauen ihr Leben fristen. Als ihnen im November 1941 mitgeteilt wurde, dass sie ins Reichskommissariat Ostland abgeschoben würden, muss Franziska Bartfeld den Versuch gemacht haben, dieses Schicksal abzuwenden, wie aus einer Aktennotiz der Jüdischen Mittelstelle über eine Besprechung mit der Gestapo hervorgeht. „Frl. Bartfeld“, heißt es da, „ist persönlich noch einmal vorstellig geworden. Wir konnten ihr Gesuch unterstützen. Eine Entscheidung (für sie und ihre Mutter) ist noch nicht gefallen.“ So sehr angenommen werden darf, dass Franziska Bartfeld erreichen wollte, von der Transportliste gestrichen zu werden, so wenig wird erkennbar, welcher Argumente sie sich bediente. War es der Hinweis auf ihre Abschiebung und anschließende Lagererfahrung in Zbasyn, oder hatte sich Ihre Mutter von der Erkrankung der Jahre 1931/32 nie mehr erholt. Gefruchtet hat Franziskas Intervention nicht, sie und ihre Mutter wurden am 1. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert. Es muss dahingestellt bleiben. ob sie dort verhungert und/oder erfroren, unter Schlägen zusammengebrochen oder im Wald von Bikernieki erschossen worden sind.

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bild: Anke Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative

  • 1. Freundliche Auskunft des Stadtarchivs Kaiserslautern.
  • 2. StAL ES 25401

    Im Oktober 1938 wurden Juden polnischer Staatsangehörigkeit zu Tausenden über Nacht nach Polen abgeschoben. Von dieser Zwangsmaßnahme war auch Franziska Bartfeld betroffen. Sie musste, wie die große Mehrzahl der plötzlich Abgeschobenen, acht Monate im eilends eingerichteten Lager Zbasin (Provinz Posten zubringen.Kulka, Otto Dov und Eberhard Jäckel: Die Juden in den geheimen Stimmungsberichten 1933 - 1945. Düsseldorf 2004, S. 623. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch, Abfrage 10. Juli 2017

  • 3. Im Gedenkbuch „Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Baden Württemberg 1933-1945“ wird Arnold Gottlieb als versch[ollen] geführt. Die Wiedergutmachungsakten deuten eher darauf hin, dass er zusammen mit seiner Frau Regina nach Amerika ausgewandert ist.
  • 4. Name geändert

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