Gerhard Loewe war ein ungewöhnlicher Mensch: musikalisch hoch begabt, aber dem Alltag kaum gewachsen. Deshalb war ihm Lina Schaaf als Pflegerin beigegeben, die treu an ihrer Aufgabe festhielt, als es längst gefährlich war, Juden beizustehen. Sie hat ihren Schützling begleitet und ihm guten Glaubens ein wertvolles Cello mitgegeben, als er von NS-Schergen abgeholt wurde, seine Deportation und Ermordung vermochte sie nicht zu verhindern.
.Am 25. Oktober 1906 hat Gerhard Loewe in Cannstatt das Licht der Welt erblickt. Er war der dritte Sohn seiner Mutter Anna. Sein Bruder Rudolf Bernhard war vier Jahre älter, das Geburtsdatum des Halbbruders Hans Martin aus erster Ehe der Mutter lag zwischen 1890 und 1900. Der Vater war praktischer Arzt. Er stammte aus Oberschlesien und hatte sich 1889 in Heilbronn in zweiter Ehe mit Anna, geborene Schiffer verehelicht. Im selben Jahr hat er sich nach Ausweis der Adressbücher in Cannstatt niedergelassen. Die Kinder aus seiner ersten Ehe sind in sehr jungen Jahren gestorben.
Gerhard Loewe war gerade fünf Jahre alt, als im November 1911 seine Mutter starb. Schon ein Jahr zuvor war die 32-jährige Erzieherin Lina Schaaf aus Wiesbaden als Hausdame in den Arzthaushalt gekommen. War dem Tod der Mutter ein längeres Leiden vorausgegangen, das den Vater veranlasste, sich für Kinder und Haushalt eine Hilfe zu holen? Oder sahen beide Eltern sich durch die Pflegebedürftigkeit ihres Sohnes veranlasst, sich Hilfe zu holen? Fragen, die sich aus den vorliegenden Quellen nicht beantworten lassen.
Über Gerhard Loewes Kindheit ist über seine Pflegebedürftigkeit hinaus nur eines bekannt: Er war musikalisch begabt. Seine Pflegebedürftigkeit wird uns noch beschäftigen, seine Begabung ergibt sich daraus, dass er schon mit 13 Jahren am Königlichen Konservatorium in Stuttgart zu studieren begann und zu den Jüngsten seines Jahrgangs zählte. Die beiden Arztsöhne Hans und Walter aus dem Nachbarhaus Ludwigstraße 4, die am selben Tag aufgenommen wurden, waren zum Beispiel 16 und 18 Jahre alt.
Deutschland war Republik geworden, auch das Königreich Württemberg war schon Geschichte, als Gerhard Loewe im Herbst 1919 bei Kammervirtuos Max Nauber das Cellostudium aufnahm. 1927 bestätigte dieser seinem Schüler, er habe sich „durch großen Fleiß, unterstützt von eminentem Gehör und Gedächtnis, zu einem tüchtigen Cellisten herangebildet. Auch gelang es ihm, manche körperliche Hemmnisse so zu überwinden, dass er durch sein Können fähig ist, die praktische Tätigkeit in einem guten Orchester beginnen zu können.“ Von Einschränkungen ist in Gerhard Loewes Abschlusszeugnis weitere zwei Mal die Rede. „Innerhalb der Grenzen, die ihm gesteckt sind“, schrieb Tonsatz-Lehrer Hermann Roth, „hat er natürliche Musikalität bewiesen. Interesse und Fleiß waren sehr anerkennenswert, die Ergebnisse (immer in Anbetracht der besonderen Veranlagung) zufriedenstellend.“ „Musikalisch ausnehmend gut befähigt“, urteilte Alexander Eisenmann, „wenn auch infolge seines Gesundheitszustandes nicht immer gleichermaßen imstande, den im Musikdiktat gestellten Anforderungen zu entsprechen, hat Gerhard Loewe, der auch stets ein williger Schüler war, die höheren Musikdiktatklassen mit Erfolg besucht.“ Spätestens als die Juden von kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen wurden und deshalb die Stuttgarter Jüdische Kunstgemeinschaft gründeten, hat Gerhard Loewe Gelegenheit bekommen, seine „praktische Tätigkeit in einem guten Orchester“ zu beginnen. Höchstwahrscheinlich hat er dem von Karl Adler geleiteten Instrumentalkreis der Jüdischen Kunstgemeinschaft als ständiges Mitglied angehört. Ganz sicher hat er als Solist bzw. im Streichquartett bei folgenden Anlässen musiziert: am 7./8. April 1935 bei der Gemeindefeier zur Einweihung der jüdischen Schule, am 19. November 1935 bei einem musikalischen Abend zu Gunsten der jüdischen Winterhilfe und am 29. Juni 1936 bei einem Kammermusik-Abend.
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