Cannstatter Stolperstein-Initiative

Gerhard Loewe: "Schaaf und Loewe"

Sind das mutige Eintreten dieser Frau für den bedrängten Juden Gerhard Loewe, ihre Bereitschaft, Gefahr auf sich zu nehmen, jemals gewürdigt worden? An Wiedergutmachung hat Lina Schaaf, die im Jahre 1948 von 37,40 RM Invalidenrente leben musste, bis zu ihrem Tode 1100 DM erhalten. Ihrer Erbin verblieben nach Abzug eines „ungedeckten Restbetrages des Fürsorgeaufwandes der Stadt Stuttgart“ weitere 1070,03 DM. Dieser Triumph der Wiedergutmachungsbürokratie verdient es, wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet zu werden!

Als ihr Schützling abgeholt wurde, erlag Lina Schaaf dem Schwindel und glaubte an die Heimunterbringung. Das geht daraus hervor, dass sie ein Schlafzimmer zur Verfügung stellte und ihrem Anbefohlenen guten Glaubens auch das mittlerweile ihr gehörende wertvolle Cello mit auf den Weg gab – eine willkommene Beute für den Oberfinanzpräsident Württemberg.

Nachdem Lina Schaaf mehr als drei Jahrzehnte der Familie Loewe gedient hat, bekam sie von Gerhard Loewe geschenkt, was er besaß. (Schon kurz nach dem Tod seines Vaters hatte er ihr über seinen Tod hinaus Vollmacht erteilt, über sein Konto und Depot zu verfügen, wie die Südwestbank im Mai 1948 mitteilte.) Mit Recht hat das Landesamt für Wiedergutmachung deshalb festgestellt, dass er „zum Zeitpunkt seiner Deportation nichts mehr besessen hat“. Damit wurden 1963 Ansprüche des in Rhodesien lebenden Bruders Rudolf Bernhard abgewiesen, dem es aber ohnehin nur darum ging, Lina Schaaf einen Dank abzustatten. Alles, was er durch die Vertretung und Bemühung von Lina Schaaf [im Zuge der „Wiedergutmachung“] erhalten könne, schrieb der Bruder, solle „für immer und unwiderruflich“ ihr Eigentum sein. Sie habe dies mehr als verdient, „durch ihre unvergesslichen und treuen Dienste“. Pflege von „selbstlosester und aufopferndster Art“ und „unter Gefahr am eigenen Leben“ hat Lina Schaaf auch Gerhard Loewes in der Schweiz lebende Cousine bestätigt. Schließlich gibt es folgende Aussage Marie Meyer-Ilschens, die als Cannstatter Jüdin selbst hart bedrängt war: „Fräulein Schaaf hatte sehr viel unter Bedrängnis der S.A. und der Gestapo zu leiden, die ihr verübelten, dass sie als Christin bei dem Juden blieb, aber sie hielt ihm die Treue.“

Bald nach der Deportation von Gerhard Loewe wurde Lina Schaaf in der Kreuznacher Straße ausgebombt. Es war der Angriff vom 15. April 1943, dem in den Stadtteilen Cannstatt, Münster und Mühlhausen 619 Personen zum Opfer fielen und eben auch das Haus Kreuznacher Straße 6. Nach dem Krieg finden wir Frau Schaaf in der Deckerstraße 49, und spätestens im März 1947 setzten ihre Bemühungen um Rückerstattung ein. Unter Hinweis auf ihre Vollmacht machte sie geltend, dass aus dem ihr geschenkten Vermögen Gerhard Loewes Bargeld und Pfandbriefe beschlagnahmt worden waren.

Ihre Bemühungen, das ihrem Pflegling seinerzeit mitgegebene Meistercello zurück zu bekommen, erbachten im September 1947 die Mitteilung des Finanzministeriums, das Instrument, das von verschiedener Seite auf 10 000 Mark taxiert wurde, habe der frühere Oberfinanzpräsident Württemberg vermutlich an einen namentlich genannten Instrumentenbauer verkauft. (Zwei Mitarbeiter der Behörde, bestätigten den Kauf intern, wollten jedoch nach außen hin nicht als Zeugen in Erscheinung treten.) Der Instrumentenbauer wurde vom öffentlichen Anwalt für die Wiedergutmachung über den Verbleib des Cellos befragt, bestritt aber entschieden, das fragliche Instrument erworben zu haben. Er wollte sich aber „an eine Auktion erinnern, in der ein Cello verkauft wurde. Er behauptet, den Ersteher […] vom Aussehen zu kennen, aber seinen Namen nicht zu wissen. Er will sich bemühen, den Namen dieses Mannes ausfindig zu machen und hat versprochen, uns von dem Erfolg seiner Bemühungen in Kenntnis zu setzen. Da wir die Angaben des Herrn Kern nicht widerlegen können, müssen wir Sie bitten, sich in dieser Angelegenheit noch einige Zeit zu gedulden. Wir hoffen jedoch, dass es möglich sein wird, den jetzigen Besitzer des Cellos ausfindig zu machen.“ Zu mehr haben die Bemühungen, den Verbleib des wertvollen Instruments zu klären, nicht geführt.

Mit Freuden habe ich registriert, dass für Gerdl Loewe ein Gedenkstein angebracht wurde.

Gerdl Loewe war ein Freund meines Vaters. Sie haben zusammen musiziert und bis zu seiner Deportation regelmäßig bei uns zu Hause Quartett gespielt. Ein oder zwei Jahre vor seiner Deportation musste ein neuer 1. Geiger gesucht werden, da sich der bis dahin dafür Zuständige weigerte, mit einem Juden zu spielen.

Doch jetzt einige Anmerkungen zum Bericht:

Es stimmt, der Geng-Geng war stadtbekannt, denn egal wo man ihn traf, er trällerte immer Melodien, und dies nicht wegen der Straßenbahn.

An den Straßenbahn-Haltestellen Wilhelms- oder Karlsplatz ging er jedoch regelmäßig seinem Hobby (Hauptbeschäftigung) nach, die Fahrer auf etwaige Fahrplanabweichungen hinzuweisen. Er stand, so wurde mir von meinem Vater erzählt, mit der Taschenuhr in der Hand und kontrollierte.

Es stimmt auch, dass er das so genannte absolute Gehör hatte, was bei Amateurmusikern nicht immer begrüßt wurde, denn er reklamierte kleinste Tonabweichungen, die ein normaler Sterblicher gar nicht hörte.

Meine Eltern und ich hatten bis lang nach dem Krieg eine bleibende Erinnerung an den Gerdl, denn im so genannten guten Zimmer, in dem auch musiziert wurde, waren im Linoleum die Abdrücke seines Cellos zu sehen, denn er stellte zum Leidwesen meiner Mutter sein Cello immer neben das dafür vorgesehene Holztellerchen.

Im Bericht steht auch, dass er mit Frau Schaaf in einer 5-Zimmer-Wohnung wohnte. Meine Eltern erzählten mir immer, dass ihm das Haus gehörte. Ich weiß nicht, was wirklich rchtig ist.

14. Dezember 2011
Peter R.

DIE FAMILIEWE AUS OBERSCHLESIEN

Meine Mutter, Rut Grünwald, geborene Loewe (1911 bis 1967), stammte aus Neustadt in Oberschlesien (heute Prudnik, Polen) und wurde am 26.02.1911 als einziges Kind des Fritz Loewe (04.04 1867 Zülz bis 30.04.1929 Neustadt) und der Irma Loewe-Kainer (1886 bis 14.07.1942 Auschwitz) geboren.
Rut Grünwald-Loewe und der Kunsthistoriker Dr. phil. Michael Grünwald hatten sich in Berlin kennen gelernt, von wo aus sie 1937 nach Italien auswanderten und von wo es ihnen 1943 gelang, zusammen mit meinem älteren Bruder im letzten Moment in die Schweiz zu flüchten.

Der Onkel meiner Mutter, Richard Loewe (11.11.1860 Zülz bis 15.10.1930 Cannstatt), war der ältere Bruder ihres Vaters Fritz Loewe und praktizierte über mehrere Jahrzehnte als Allgemeinarzt in Cannstatt. Er war in zweiter Ehe verheiratet mit Anna Loewe (geb. Schiffer, gest.1911). Aus dieser Ehe stammten die Söhne Rudolf Bernhard (geb. 1902), und Gerhard (geb. 1906-942 Deportation). Die Mutter Anna Loewe geb. Schiffer, war die Schwester von Eugen Schiffer (1860 Breslau bis 1954 Berlin), einem Politiker, der in der Weimarer Republik als Reichsjustiz- und als Finanzminister mehreren Regierungen angehörte.

Meine Mutter verbrachte im Jahre 1929 einen Studienaufenthalt in Stuttgart und wohnte während jener Zeit bei ihrem Onkel Richard in Cannstatt. Am Konservatorium in Stuttgart ging sie ihren Studien in Gesang und Musikpädagogik nach. Dabei lernte sich auch ihren Cousin Gerhard kennen, den sie als ganz besondere Persönlichkeit erlebte: Als einen sonderbaren, eher verschlossenen Menschen mit einem so genannten Savant-Syndrom, wie man das heutzutage fachlich bezeichnen würde. Gerhard spielte überdurchschnittlich gut Violoncello und besuchte bereits mit dreizehn Jahren das Konservatorium in Stuttgart, was außerordentlich früh war. Als musikalischer Savant machte er große Fortschritte und verfügte über ein außerordentliches fotografisches Gedächtnis. Auch im mathematischen Bereich soll er über eine besondere Begabung verfügt haben. Nach außen wirkte er eher verschlossen und als Sonderling, der wenig soziale Kontakte zu pflegen in der Lage war.

Betreut wurde Gerdel Loewe von Lina Schaaf, einer jüngere Frau, welche damals vom Vater des Jungen nach dem Tod der Mutter Anna als Haushälterin und Erzieherin herbeigezogen worden war. Leider musste sie miterleben, dass ihr Ziehsohn Gerhard 1942 deportiert wurde. Zu Lina Schaaf pflegte meine Mutter auch nach dem Zweiten Weltkrieg über längere Zeit hinweg Kontakt.
Thomas Grünwald
Juli 2015

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