Seit 1874 lebten Israel und Zerline Buxbaum in Cannstatt und betrieben eine koschere Metzgerei. Ihre Kinder Jette und Josef führten das elterliche Geschäft in der Schulgasse weiter. Josef war Metzgermeister, er nahm am Ersten Weltkrieg als Unteroffizier teil. Jette hat vermutlich die Kundschaft im Laden bedient. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 zerstörten marodierende SA-Leute das Schaufenster der Metzgerei mit Spitzhacken. 1942 wurden die Geschwister ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Nur fünf Wochen später wurden sie im Vernichtungslager Treblinka ermordet.
Das nebenstehende Bild zeigt den Ausschnitt einer 1929 entstandenen Bildmontage, die an Eiseskälte und den zugefrorenen Neckar im Winter 1928/29 erinnert. Man sieht auf dem Original 189 Cannstatter ─ Honoratioren, Beamte, Fuhrleute, Turner und Handwerker. Dank der Nummer, die jeder Person zugeordnet ist, und einer Namensliste gelingt die Identifikation jedes einzelnen mühelos. Josef Buxbaum trägt die Nummer 143. Ob er sich ohne diese Hilfe ermitteln ließe? Die Nazis glaubten doch Semiten und Arier auf einen Blick unterscheiden zu können.
Josef Buxbaum und seine Schwester Jette wurden am 29. September 1942 von Theresienstadt aus „nach dem Osten“ deportiert. Was weiß man sonst von den beiden? Schon ihr Vater Israel war Metzgermeister gewesen. Er und seine Frau Zerline, geborene Schlesinger, waren seit 1874 in Cannstatt ansässig, zunächst in der Marktstraße, dann in der Schulgasse 1. Beide sind auf dem jüdischen Steigfriedhof begraben. Ihre Kinder Jette, am 20. November 1873 in Merchingen geboren, und Josef, der am 12. Dezember 1875 in Cannstatt zur Welt kam, haben den väterlichen Betrieb übernommen und weitergeführt. Einen kleinen Hinweis auf die Metzgerei Buxbaum gibt Walter Marx, ein Neffe des Cannstatter Dichters Leopold Marx, in seinen Lebenserinnerungen. Der Haushalt seiner Großeltern Rothschild, schreibt er, sei nicht strikt „koscher“ gewesen, doch wurde „all ihr Fleisch beim einzigen jüdischen Metzger in Cannstatt, Herrn Buxbaum, gekauft“. Im Gespräch fügte Walter Marx hinzu, auch andere Juden, wie die Familie Marx, seine Großeltern väterlicherseits, hätten wohl aus jüdischer Solidarität bei den Buxbaums ihr Fleisch gekauft. Zwei postkartengroße Zettel im Hauptstaatsarchiv, von Hand mit kaum mehr als den Lebens- und Vernichtungsdaten beschrieben, enthalten den Hinweis, dass Josef Buxbaum Kassierer im Israelitischen Wohltätigkeitsverein Bad Cannstatt war. Joachim Hahn hat darüber hinaus ermittelt, dass er als Unteroffizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen hat. Daran erinnert sich auch eine Cannstatterin, die Josef Buxbaum als „geachteten Metzgermeister“ schildert und fortfährt: „Jette, seine Schwester, führte ihm den Haushalt […]. Ich war zufällig Augenzeuge, als Anhänger der SA in Uniform mit Spitzhacken die Fenster des Metzgerladens zertrümmerten am 8./9. November 38. Es war grausam! Danach waren beide Buxbaums verschollen.“ Es wird wohl so gewesen sein, dass sie sich nicht mehr zu zeigen wagten, denn laut Stuttgarter Adressbuch und “Judenlisten” lebten die beiden bis 1941 weiterhin in der Zieglergasse 1. Wahrscheinlich im März 1942 wurden sie nach Tigerfeld (heute Ortsteil von Pfronstetten) in eines jener „Altersheime“ evakuiert, mit denen die Stadt Stuttgart ein doppeltes Ziel verfolgte: Man schaffte sich nicht nur die verfemten Juden vom Hals, sondern konnte auch auf deren Wohnraum zurückgreifen. Ein weiterer Vorteil im Sinne der Täter war, dass man die zusammengedrängten alten Menschen unter Kontrolle hatte. Aus ihrer Zwangsevakuierung wurden die Geschwister Buxbaum im August 1942 nach Stuttgart ins Sammellager auf dem Killesberg beordert. Rund 940 meist ältere Menschen wurden dort zusammengepfercht. Ein NS-Propagandafilm, der eine geordnete Abreise vortäuschen soll, führt Josef Buxbaum bei Küchenarbeiten vor. Eine Armbinde kennzeichnet ihn als Funktionsträger. Der Leidensweg von Jette und Josef Buxbaum setzte sich als Fußmarsch zum Nordbahnhof fort und endete nicht etwa in Theresienstadt, sondern fand erst nach weiterer Deportation in Treblinka sein Ende. Dort wurden die Geschwister spurlos beseitigt.
© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bilder: privat, Stadtarchiv Stuttgart, Anke Redies
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