Cannstatter Stolperstein-Initiative

Erich Batschauer, Opfer einer grausamen Justiz

Erich Batschauer, undatiert.Admiral Walter Warzecha, Chef der Rechtsabteilung der Kriegsmarine, »führte im Februar 1942 vor den leitenden Marineoberkriegsgerichtsräten aus, die Kriegsgerichte seien Organe der Staatsführung und der militärischen Führung. Als Staatsorgane sollten sie durch die Härte des Strafrechts die Durchführung der „staatspolitischen Weisungen auf allen Lebensgebieten sichern“ und als Organe der militärischen Führung ihre Unabhängigkeit in eine freiwillige Bindung an den militärischen Führungsanspruch umwandeln. Er forderte eine Rechtsprechung, „die der Person und den Motiven des Täters nur begrenzte Rücksicht schenkt“. Der hohe sittliche Wert einer solchen Rechtsprechung liege im „Nutzen für das Volk“. Eine großzügige Anwendung der Todesstrafe hielt er für geboten«.1

Einer Wehrmachtsjustiz, die sich dieser perversen Rechtsauffassung unterwarf, fielen mehr als 20.000 Männer zum Opfer, vereinzelt auch Frauen. Zu ersteren zählt Erich Batschauer. Anstatt ihren Ermessensspielraum zu nutzen, ließen sich seine Richter von ideologischem Fanatismus leiten: Ihr Angeklagter wurde zum Tode verurteilt und am 4. Dezember 1941 in St. Nazaire, der Stadt an der Loire-Mündung, erschossen.

Schon bevor er in die Mühle dieser gnadenlosen Maschinerie geriet, hat es das Leben nicht besonders gut mit Erich Batschauer gemeint. Er war das fünfte Kind des selbstständigen Möbelspediteurs Alfred Batschauer und seiner Frau Frieda in Lahr. Es war eine Familie in steter Unruhe, in die Erich am 17. April 1913 hineingeboren wurde. Mehr als ein Dutzend Umzüge waren seiner Geburt vorausgegangen, vier Kinder waren seit 1907 zur Welt gekommen. Gertrud, das jüngste der Geschwister war wenige Wochen vor Erichs Geburt mit 13 Monaten gestorben. Er selbst war kaum drei Monate alt, da starb seine Mutter, Wochen später folgte der nächste Wohnungswechsel, und weitere folgten, noch ehe Erich zur Schule kam. Viel mehr lässt sich dem Familienregister nicht entnehmen.

Als der Vater Alfred Batschauer im Ersten Weltkrieg zu den Waffen gerufen wurde, konnte die Familie sich erst recht nicht konsolidieren. Hans, den ältesten der Geschwister, nahm die Großmutter in Emmendingen auf, für den Rest der Familie mussten Haushälterinnen einspringen, bis einem Antrag auf Freistellung des Vaters stattgegeben wurde. Der vorübergehende Kriegsdienst Alfred Batschauers dürfte zum Konkurs seiner Möbelspedition ebenso beigetragen haben wie die allgemeine Kriegsnot. Wie er sie überstanden und seine Kinder durchgebracht hat, wird im Narrativ der Familie nicht überliefert.

Einen verbrieften Wendepunkt in Erich Batschauers Leben gibt es dann erst 1920 wieder: Sein Vater heiratete zum zweiten Mal, und dieser Ehe entsprangen fünf Kinder. Mit der wachsenden Aufgabe und angesichts finanzieller Not drängte die Stiefmutter darauf, die Söhne Willi und Erich aus erster Ehe aus dem Haus zu geben. Sie wurden einem Bauern übergeben. Man geht kaum fehl in der Annahme, dass sie dort für „Kost und Logis“ arbeiten mussten. Erich dürfte um die zehn Jahre alt gewesen sein. Danach weiß man erst vom Anfang der dreißiger Jahre wieder etwas von ihm. Er ist seinem Bruder Hans nach Stuttgart -Bad Cannstatt gefolgt, vor allem wohl in der Hoffnung, endlich einen Beruf zu erlernen. In wirtschaftlich schwieriger Zeit gelang es aber nicht, eine Lehrstelle zu finden. Erich wohnte bei seinem Bruder Hans in der Brunnenstraße. Dieser war zunächst in seinem Beruf als Friseur und Kosmetiker tätig, fand dann aber bei der Süddeutschen Kugellagerfabrik (SKF) Arbeit. Kommunist war er geworden, nachdem er miterlebt hatte, wie eine Arbeiterdemonstration von berittener Polizei niedergeschlagen wurde. Die Nazis kannten ihn als solchen und deportierten ihn noch im März 1933 auf den Heuberg. Erich, vom älteren Bruder ideologisch beeinflusst, gehörte einem kommunistischen Jugendverband und2seit September 1940 der Kriegsmarine an. Zuvor hatte er beim Heer gedient, zu dem er sich freiwillig gemeldet hatte, war jedoch aufgrund einer früheren Erkrankung entlassen worden. Seine erste Beurteilung nach Beendigung der Ausbildung bei der Marine fiel positiv aus: Seine Führung wurde als gut bezeichnet, er galt als ‚ernster, strebsamer Soldat, aufrichtiger Charakter, durchschnittlich begabt und willig‘. Seit Oktober 1940 versah er seinen Dienst bei der Marine-Artillerie-Abteilung 262 im besetzten Frankreich. Dort hatte Batschauer disziplinäre Probleme. Mehrmals traf er verspätet in der Batterieunterkunft ein, weil er einen Rücktransport verpasst hatte; einmal überschritt er einen Heimaturlaub.

Am Abend des 23. Mai 1941 kehrte Erich Batschauer zum vierten Mal zu spät zu seiner Einheit zurück. Am nächsten Morgen fehlte er. Wollte er tatsächlich überlaufen und sich der Résistance anschließen, wie sein Bruder aufgrund einer entsprechenden Andeutung annahm? Tatsache ist, dass er unbemerkt die Unterkunft seiner Truppe verlassen hat und mehrere Tage herumgeirrt ist. Er besorgte sich Zivilkleidung, wurde allerdings nach fünf Tagen von einem Landwirt denunziert. Französische Polizisten und zwei Wehrmachtsangehörige nahmen ihn fest. Sie hielten ihn für einen abgeschossenen britischen Piloten, ein Missverständnis, das Batschauer in den folgenden Wochen nicht aufklärte, schien es ihn doch vor einer Verfolgung durch die Militärjustizbehörden zu bewahren. In ein Kriegsgefangenenlager verbracht, gelang es ihm, obwohl er des Englischen nicht mächtig war, zunächst seine Identität zu verbergen. In zwei Verhören gab er sich zunächst als englischer Pilot polnischer Herkunft aus und behauptete dann, er sei Deutscher, der seit 1932 in Großbritannien gelebt habe. Dieses Konstrukt hielt weiteren Fragen nicht stand. Der Kriegsgefangene mit der Nummer 39136 wurde auf ‚eindringlichste und ernsteste‘ Weise verwarnt. Batschauer nannte nun seinen korrekten Namen und schilderte seine entbehrungsreiche Jugend. Er kam auch auf seine dramatische Lebenssituation in der Vorkriegszeit zu sprechen. Das Gesundheitsamt Stuttgart habe ihm und seiner Braut die Eheschließung verweigert – darauf folgte ein Selbstmordversuch. Für seine Entfernung von der Truppe entwickelte er nun eine zweite Erklärung: Es sei sein Plan gewesen, nach England zu gelangen, um dem dort gelandeten Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, Hilfe zu leisten.

Mitte Juli 1941 ließ man Erich Batschauer für die gerichtliche Verhandlung zurück nach Frankreich überstellen. Fast gleichzeitig erging durch das Kriegsgefangenenlager ein Abschlussbericht, dem zu entnehmen ist, dass Batschauer vor seiner Rückführung ein volles Geständnis abgelegt hatte. Er soll auch einige zivile Straftaten angegeben haben, unter anderem wegen Bettelei, Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Jugendorganisation und wegen Zuhälterei. Dem Bericht zufolge brachte Batschauer sein Verschwinden aus der Batterieunterkunft nun in Zusammenhang mit privaten Schwierigkeiten. Wegen der Zahlung von Alimenten sei er dauernd in einer prekären finanziellen Situation gewesen. Der Batteriechef habe ihm Hilfe versprochen. Nach seiner verspäteten Rückkehr am 23. Mai soll der wachhabende Offizier ihm allerdings nicht nur eine sechsmonatige Haftstrafe angekündigt, sondern auch geäußert haben, mit einer Unterstützung durch den Batteriechef in seiner Alimentesache könne Batschauer nun nicht mehr rechnen. Aus Verzweiflung habe er sich daraufhin von der Truppe entfernt.

Noch im Juli 1941 intensivierte das zuständige Gericht seine Ermittlungen. Das Verfahren wurde dabei maßgeblich vom Bericht eines Stuttgarter Kriminalsekretärs beeinflusst, der sich zur Familie des Inhaftierten und zu seinem Vorleben äußerte. Batschauers Angaben zu seiner schweren Jugend und zur Verweigerung der Eheschließung wurden bestätigt. Dies trug jedoch nicht zu seiner Entlastung bei. Die Polizei zitierte vor allem Werturteile, die schon zuvor durch zivile Justiz- und Fürsorgeeinrichtungen über die Familie gefällt worden waren. […] Hintergründe für mögliche familiäre Probleme blieben jedoch unerwähnt; der Vater hatte im badischen Lahr ein Speditionsunternehmen besessen, das durch die Nähe zu Frankreich während des Ersten Weltkriegs in Konkurs gegangen war. Der Kriminalsekretär berichtete auch über Akten zum Selbstmordversuch Erich Batschauers Anfang 1936. Die ärztliche Direktion des städtischen Bürgerspitals bezeichnete damals die Verzweiflungstat als „pathologische Reaktion eines asozialen Psychopathen“. Der für die Verweigerung der Eheerlaubnis verantwortliche Beamte des Gesundheitsamtes, Dr. Bofinger3, wurde direkt befragt. Die Ehe sei seinerzeit auf Grund von §3 Ehegesundheitsgesetz verweigert worden. Diesem Paragraphen zufolge durften Ehen nicht geschlossen werden, wenn einer der Verlobten, ohne entmündigt zu sein, an einer geistigen Störung litt. Im Falle Batschauers sei die Entscheidung jedoch lediglich auf Grund seines Vorlebens erfolgt. Er halte Batschauer, so seine Ferndiagnose, für voll verantwortlich, sein ganzes Verhalten führe er auf charakterliche Mängel zurück.

Die Beamten der Wehrmachtsjustiz stützten sich maßgeblich auf den Bericht des Stuttgarter Kriminalinspektors. Während des Prozesses am 18. September 1941 wurde er verlesen und schon zuvor hatte er ein „wesentliches Ermittlungsergebnis“ für die Anklageerhebung gebildet. Dabei spitzte der zuständige Marinekriegsgerichtsrat die Aussagen aus Stuttgart noch stereotyp zu: […] Bofingers Angaben zu persönlichen Defiziten Batschauers wurden nun direkt auf die Tat bezogen, diese (und nicht etwa „sein ganzes Verhalten“, wie es im Wortlaut des Berichtes heißt) sei auf charakterliche Mängel zurückzuführen. Das „wesentliche Ermittlungsergebnis“ berührte bei der Erörterung des Falles auch die Frage, unter welchen Umständen Batschauer seinerzeit verhaftet worden war. Der beteiligte deutsche Offizier war zu diesem Zeitpunkt nicht festzustellen. „Für die Beurteilung der Tat kommt es auf Einzelheiten insoweit auch nicht an“, kommentierte der Untersuchungsführer diese Ermittlungslücke. Batschauer sei, „ob mit eigenem Zutun oder ohne eigenes Verschulden kann dahin gestellt bleiben, für einen in englischen Diensten stehenden Flieger gehalten […] worden“. Mit „phantasiereichen Erklärungen“ habe er versucht „seine Rolle zu Ende zu spielen“. Für den ermittelnden Juristen stand fest, dass die „Persönlichkeit des Beschuldigten, sein wohldurchdachtes Handeln und die an den Tag gelegte Zielstrebigkeit“ die Fahnenflucht-Absicht als gewiss erscheinen ließen.

Am 18. September 1941 verurteilte das Gericht Erich Batschaer zum Tode. […] Batschauers Verteidiger, der Gefreite Carstensen, im Zivilberuf Assessor bei Gericht, reichte ein Gnadengesuch ein. Er wies darauf hin, „in Folge der nur etwa ein-viertelstündlichen Aussprache“ mit Batschauer vor der Hauptverhandlung sei die Verteidigung beeinträchtigt gewesen. Er […] stellte Batschauers Handeln als planlos, seine zivilen Vorstrafen als wenig gravierend und lange zurückliegend dar. Hierzu und zu einem eigenen Gnadengesuch Batschauers sprach sich Marinekriegsgerichtsrat Becker am 18. September 1941 folgendermaßen aus: “Sein Leben, das bisher keinen Wert hatte, wird dann vielleicht nicht nutzlos gewesen sein, wenn er jetzt durch seinen Tod anderen Kameraden ein abschreckendes Beispiel gibt.” Das Urteil wurde bestätigt, ein Gnadenerweis abgelehnt.

Der Vollstreckung dieses Urteils gewärtig musste Erich Batschauer noch ganze elf Wochen leben. Das Erschießungskommando vor Augen, soll er sich am 4. Dezember 1941 geweigert haben, eine Augenbinde anzulegen, wie sein Bruder überliefert hat.

Erich Batschauers Geständnis schließt wie folgt:
„Bitte wenn es in ihren Kräften steht dann bitte ich sie Herr Hauptmann Herrn Adolf Hitler daß Schreiben vorzulegen. Es möge mir in dieser Stunde gelingen meinen Kampf weiter zu führen so wahr mir Gott helfe.
Geschrieben. den. 30.7.41.
Erich Batschauer
Ich bitte doch Herrn Hauptmann ist es nicht möglich, mir eine andere Kleidung zu geben. Denn ich bin ja kein Feind sondern Deutscher. Ich habe die Uniform in Frankfurt bekommen.
Erich Batschauer
Ich gebe den Kampf nicht auf, so wahr mir Gott helfe.

Brunnenstraße 31, Stolperstein verlegt am 1. Juli 2016

© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
© Bilder: Hans J. Batschauer, BArch PERS 15_64060 fol 3 und BArch PERS 15_64060 fol 76 h

  • 1. Gruchmann, Lothar: Ausgewählte Dokumente zur deutschen Marinejustiz im Zweiten Weltkrieg. In: VfZ 26 (1978), S. 433-498. Zitiert in: Baumann/Koch: »Was damals Recht war …«, S. 31.
  • 2. Der folgende kursiv wiedergegebene Text ist ein Zitat aus »Was damals Recht war …« Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht. Berlin-Brandenburg 2008, S. 53 ff. Mit freundlicher Genehmigung von be.bra verlag.
  • 3. Über Bofinger schreibt in anderem Zusammenhang Karl-Horst Marquart: „Fanatisch und gnadenlos beurteilte und verfolgte er Menschen mit dem Ziel: Zwangssterilisation, ‚Euthanasie“ oder Todesstrafe. Um die NS-Doktrin der ‚Erb- und Rassenpflege‘ durchzusetzen, war ihm jedes Mittel recht …“ (Karl-Horst Marquart: „Behandlung empfohlen“. NS-Medizinverbrechen an Kindern und Jugendlichen in Stuttgart. Stuttgart 2016. S. 81)

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