Einziges Lebenszeugnis aus Adolf Eisenhardts jungen Jahren ist das Foto des vermutlich 18-Jährigen, der am Ersten Weltkrieg teilnehmen muss. Wenig wissen die Nachkommen noch über den Großvater zu berichten. Ergiebiger sind die Akten der Wiedergutmachung. Jedoch wurden damals völlig unkritisch Urteile der NS-Bürokratie über Adolf Eisenhardt herangezogen, die den einzigen Zweck hatten, ihn herabzusetzen. In einem dieser Dokumente liest man etwa: „Eisenhardt zählt zu jenen Elementen, die als Parasiten der öffentlichen Fürsorge den Staat und die Gemeinschaft in unverschämter Weise ausnutzen und sich gegen alle Versuche, sie in eine ihnen entsprechende Arbeit zu vermitteln, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln wehren.“ Solche Sprache entlarvt sich selbst, doch scheint es in den späten vierziger Jahren, als es um „Wiedergutmachung“ ging, noch an der Sensibilität für diese Erkenntnis gefehlt zu haben. Adolf Eisenhardt war sicher kein braver, angepasster Bürger und erst recht kein vorbildlicher „Volksgenosse“ im Sinne des NS-Staates, doch lassen die spärlichen, im Folgenden auszugsweise dargebotenen Akten bei kritischer Sicht erkennen, wie infam die NS-Behörden vorgingen, um eine missliebige Person als „asozial“ zu kennzeichnen: Wie immer man Adolf Eisenhardt einschätzen mag, ihm ist schweres Unrecht geschehen, er zählt zu den Opfern des NS-Regimes, an die mit Stolpersteinen erinnert werden soll.
05.05.1899 Adolf Eisenhardt kommt in Renningen als Sohn des Bäckers Gottlob Eisenhardt und seiner Frau Regine, geb. Beyerle, zur Welt.
17.12.1927 Adolf Gengenbach wird als Sohn Adolf Eisenhardts in Pforzheim geboren.
02.06.1928 Adolf Eisenhardt verheiratet sich mit Barbara Brenner aus Aalen. Der Ehe entspringen vier Kinder: Eugen (geb.02.08.1928), Emma (geb. 26.03.1930), Helmut (geb. 21.10.1932) und Adolf (geb. 17.01.1934).
1933 Die Kommunistische Partei Deutschlands, der Adolf Eisenhardt angehört, wird zerschlagen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sagt ihm später „politische Regsamkeit“ nach. Hierzu die Familienüberlieferung: Barbara Eisenhardt, politisch anders gestimmt als ihr Mann, hat ihren Enkeln vom „Lugenbeutelstammtisch“ in der Bahnhofswirtschaft Münster erzählt. Diesen habe ihr Mann regelmäßig aufgesucht, um sich mit kommunistischen Gesinnungsgenossen auszutauschen. In der Familie lebt auch die Anekdote fort, Adolf Eisenhardt habe dem für den Nastplatz zuständigen Blockwart gesagt, der Hitler könne ihn …
01.06.1933 Der „alte Kämpfer“ Friedrich Ettwein übernimmt die Leitung des städtischen Wohlfartsamtes und verkündet programmatisch: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“
Januar 1934 Stuttgart führt für Arbeitslose, die Unterstützung beziehen, Pflichtarbeit ein. Ein Teil der Betroffenen muss in der Plattenfabrik Gaisburg arbeiten, wo man Adolf Eisenhardt als „eigensinnigen brutalen Faulenzer, der auch seine Mitarbeiter in seinem Sinne zu beeinflussen sucht“, einschätzt. Um den „Bodensatz der Großstadt“ zu isolieren wird wenig später in Buttenhausen eine Anstalt „zur Beschäftigung und Bewahrung arbeitsbeschränkter, arbeitsunwilliger, trunksüchtiger oder sonst der Anstaltsfürsorge bedürftiger Personen beiderlei Geschlechts“ eröffnet.
20.03.1936 Adolf Eisenhardts Vorstrafenregister weist acht Einträge auf, u.a. wegen Unterschlagung, schwerem Diebstahl, Bettel, unerlaubter Rückkehr.
1937 Einem Erlass von Reichsführer SS Heinrich Himmler zufolge kann verhaftet werden, wer „ohne Berufs- und Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet.” „Aufgrund des vorbeugenden Verfahrens und des summarischen Begriffs der Asozialität konnte das Wohlfahrtsamt fortan missliebige Personen nach Buttenhausen verbringen. Unruhestifter ließ die dortige Anstaltsleitung ins KZ verbringen.“
24.02.1939 Adolf Eisenhardt wird als Schwerbeschädigter anerkannt, bereits im Mai 1937 war er invalidiert worden. In der Familie ist überliefert, dass Eisenhardt in einem Zirkus gearbeitet hat und von einem Pferd getreten wurde. Infolgedessen sei ihm ein Lungenflügel entfernt worden.
26.04.1939 Anlässlich einer mündlichen Verhandlung auf der Abteilung Arbeitsfürsorge des Wohlfahrtsamtes schleudert Adolf Eisenhardt einen Stuhl in die Ecke.
22.11.1939 Die Stadt Stuttgart, Geschäftsstelle Bad Cannstatt, Abt. Wohlfahrtswesen stellt fest, die seit 1933 entstandenen Fürsorgekosten für die Familie hätten „eine Höhe erreicht, die es ratsam erscheinen lässt, zu prüfen, ob sie nicht irgendwie gesenkt werden können.“ „Mit geradezu empörender Unverschämtheit hat er es immer wieder verstanden, seine Arbeitsunlust durch ärztliche Zeugnisse zuzudecken.“ “Sobald er sich vor weiteren Anforderungen […] sicher fühlte, beschäftigte er sich eifrig mit seiner Liebhaberei, der Zucht von Kleintieren, eine Tätigkeit, die freilich für die öffentliche Fürsorge keine Entlastung bedeutete.“ Warum die NS-Behörden gegen Eisenhardt vorgingen, aber nicht gegen die Ärzte, denen sie Gefälligkeitsgutachten unterstellten, bleibt rätselhaft. Entlastung der öffentlichen Fürsorge hat es der Familienerinnerung zufolge durchaus gegeben. Eisenhardts Familie sei „Selbstversorger“ gewesen. Das hätte zur Folge gehabt, dass sie weniger Lebensmittel wie Eier und Fleisch auf Lebensmittelkarten bekommen hätte.
31.07.1942 Durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Cannstatt wird Adolf Eisenhardt wegen Trunksucht entmündigt. Zurückhaltender hat die Abteilung Wohlfahrtswesen der Geschäftsstelle Bad Cannstatt im November 1939 geurteilt: „Auch als Trinker ist er schon aufgefallen, wenn er auch nicht als notorischer Trinker bezeichnet werden kann.“
22.12.1942 Beginn der Verfolgung. Den Angaben seiner Frau zufolge wird Adolf Eisenhardt bei seinem Arbeitgeber Norma von der Gestapo verhaftet und ins Bewahrungs- und Beschäftigungsheim Buttenhausen eingeliefert, das zu diesem Zeitpunkt mit rund 70 Männern und mehr als 100 Frauen belegt war.
04.11.1943 Wegen schlechter Führung in Buttenhausen wird Eisenhardt zur Verhängung der polizeilichen Vorbeugehaft nach Stuttgart überstellt.
08.12.1943 Mittels Sammeltransport wird er ins KZ Natzweiler deportiert.
19.02.1944 Die Scheidung Adolf Eisenhardts von seiner Frau Barbara wird rechtskräftig. Das Landgericht Stuttgart hat am 30. Dezember 1943 in Abwesenheit der Eheleute auf „Verschulden des Beklagten“ erkannt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Im Zuge ihrer Bemühungen um Wiedergutmachung hat Barbara Eisenhardt 1947 angegeben, keinen Antrag auf Ehescheidung eingereicht zu haben. Die Scheidung soll auf Antrag des Wohlfahrtsamtes geschehen sein. Die VVN, zum Fall Eisenhardt befragt, gibt 1946 zu Protokoll, dass nach ihren Erfahrungen „die Gestapo alles versucht hat so zu hintertreiben, dass aus dem Manne das Schlechteste herausgeschält wurde, um den politischen Häftling in jeder Weise zu erniedrigen, damit für ihn eine Scheidung für schuldig herbeigeführt wird“.
04.04.1944 Die Kommandantur des Konzentrationslagers Natzweiler teilt Frau Eisenhardt mit, dass ihr Mann „am 4. April an den Folgen von Herz- und Kreislaufschwäche bei Enterocolitis im hiesigen Krankenhaus verstorben ist.
10.11.1947 Die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung teilt Barbara Eisenmann mit: „Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass Ihr Ehegatte nicht aus politischen Gründen in Haft war. Aus diesem Grunde kann nach dem Gesetz Nr. 169 ein Wiedergutmachungsanspruch nicht anerkannt werden.“ Hier hat man offenbar Stimmen wie der folgenden des Polizeipräsidiums Stuttgart vertraut, wonach „oben Genannter am 22.1.1942 aus asozialen Gründen in das Bewahrungs- und Beschäftigungeheim Buttenhausen eingewiesen wurde.“ Dieses Zitat und die ganze folgende Stellungnahme atmet noch den Geist des NS und greift vollkommen unkritisch auf Akten jener Zeit zurück. Zuvor schon, nämlich am 20.05. 1947 lautet ein Aktenvermerk der Landesversicherungsanstalt: „E[isenhardt] wurde aus politischen Gründen im Jahr 1942 inhaftiert und ins Konzentrationslager verbracht. […] Die Inhaftierung war eine politische Terrormaßnahme. Der Tod wurde demnach als eine Folge nationalsozialistischen Unrechts anerkannt. Den Kindern ist eine entsprechende Rente zu gewähren.“ Den Ausschlag für diese Entscheidung gab die Mitteilung der VVN, „dass die vier Kinder des verstorbenen Adolf Eisenhardt nach wie vor als politische Hinterbliebene von uns anerkannt werden.“
Die vielstimmige Einigkeit über Adolf Eisenhardts „Asozialität“ gehört in die NS-Zeit. Hat er sich verteidigt oder sich verweigert und hartnäckig geschwiegen? Aus den Akten geht darüber nichts hervor. Nur die Protesthandlung eines in die Ecke geschleuderten Stuhles ist überliefert. Ist es vermessen, hieran die Frage zu knüpfen, ob Adolf Eisenhardt vielleicht Widerstand mit seinen Mitteln geleistet hat? Hat er zu den wenigen gehört, die ihren Handlungsspielraum ausgenutzt haben? Auch mit dem Foto aus den Adolf Eisenhardts letztem Lebensabschnitt lässt sich keine der Fragen klären, die sein Fall aufwirft, doch überrascht es mit offenem Blick und einem resigniert-melancholischen Mund.
© Bilder: Ulla Zimmermann und VVN-Archiv
© Text: Rainer Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative
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