Cannstatter Stolperstein-Initiative

Familie Guggenheim: In den Tod mit einem acht Monate alten Kind

Alexandrine Guggenheim, geb. Ebstein wurde am 19. August 1912 in Stuttgart geboren. Sie war das zweite Kind von Henriette (Jettel), geb. Ebstein (* 6. Februar 1871 Konstadt/Oberschlesien, gest. 1. Oktober 1967 in New York) und Samuel Ebstein (* 22. April 1855 in Damratsch/Oberschlesien, gest. 2. Oktober 1941 in Stuttgart). Für ihren Vater war es die zweite Ehe, seine erste Frau Karoline, geb. Bernheimer war im Mai 1905 verstorben. Aus der ersten väterlichen Ehe hatte Alexandrine acht Halbgeschwister, aus der zweiten entstammte die ältere Schwester Ruth (*März 1909). Samuel Ebstein war seit 1877 als Textilkaufmann in Stuttgart tätig gewesen, die Geschäfte befanden sich meistens in der Hirschstraße.

Es ist nicht überliefert, welche Schul- oder Berufsausbildung Alexandrine erfahren hat. Am 17. Oktober 1940 heiratete sie in Stuttgart den aus Hamburg stammenden Kaufmann Ferdinand Isak Guggenheim (*19. Oktober 1897), der seinen zweiten Vornamen Isak wohl eher selten erwähnte. Seine Eltern Julius und Mathilde, geb. Weingarten wohnten Wexstraße 39 in Hamburg-Neustadt, dem damals zentralen jüdischen Viertel der Hansestadt. Ganz in der Nähe befand sich das Fußballfeld des späteren FC St. Pauli für dessen Vorgängerverein Ferdinand in den Jahren 1915 und 1918 kickte. Im Ersten Weltkrieg musste er als deutscher Soldat (Jäger) „dienen“, seine Feldpostbriefe an die Sportkameraden wurden in der Vereinszeitung abgedruckt. Im August 1919 war Ferdinand Guggenheim im Vorstand der „Theosophia“, einem theosophischen Lehrverein. Im August und Oktober 1919 hielt er Vorträge über Okkultismus und religiöse Geisteswissenschaften. Gründer der Hamburger „Theosophia“ war Julius Levie, ein Cousin mütterlicherseits.

Ferdinand Guggenheim war am 19.10.1931 in Hamburg eine Ehe mit der nichtjüdischen, evangelischen Elisabeth, geb. Stamer eingegangen. Ob diese erste Ehepartnerin gestorben ist, oder die Ehe geschieden wurde, konnte nicht geklärt werden.

Seit 1936 an ist Ferdinand Guggenheim im Stuttgarter Adressbuch nachweisbar. Zunächst wohnte er als Kaufmann/Vertreter in der Pfalzstraße 36 in Bad Cannstatt, 1940 findet man ihn in der Alexanderstraße 161. Alexandrine war zu dieser Zeit im „Judenhaus“ Werfmershalde 12 gemeldet, wo auch ihre Eltern sowie weitere Verwandte lebten. Vermutlich musste Ferdinand nach der Eheschließung ebenfalls in die Werfmershalde ziehen.

Bei der Stuttgarter Hochzeit von Alexandrine und Ferdinand fungierte unter anderem der jüdische Sportlehrer Julius Baumann als Trauzeuge, der Sportler und Schiedsrichter bei den Stuttgarter Kickers gewesen war. Ein Indiz, dass Ferdinand Guggenheim auch in Stuttgart sportlich aktiv war? Julius Baumann wurde ebenfalls ein Opfer der NS-Gewaltherrschaft, für ihn liegt ein Stolperstein in der Eberhardstaße.

Die Heiratsurkunde vom 17. Oktober 1940 gibt für Ferdinand als Berufsbezeichnung „Lagerarbeiter“ an, eventuell ist das ein Hinweis auf Zwangsarbeit. Am 24. September 1941 kam in der Werfmershalde der gemeinsame Sohn Ury zur Welt. Wie er heißen sollte, mussten die Eltern anhand einer von den Nazis für jüdische Jungen vorgeschriebenen Auswahl diskriminierender Namen entscheiden. Im Judenhaus Werfmershalde lebten auch Urys Großeltern, sein Großvater Samuel Ebstein war jedoch einige Tage vor Urys Geburt einem Schlaganfall erlegen. Das Leben im überfüllten „Judenhaus“‘ dürfte sehr bedrückend gewesen sein, kein guter Ort, um ein Kind auf die Welt zu bringen.

Ury, gerade 7 Monate alt, und seine Eltern wurden am 26. April 1942 in das Ghetto Izbica deportiert. Ob sie die mörderischen Bedingungen der Fahrt überlebt haben, ist ungewiss. Offenbleiben muss auch, wie und wo die junge Familie ermordet wurde.

Urys Großmutter Henriette Ebstein war nach Auflösung des „Judenhauses“ Werfmershalde eventuell in das Zwangsaltenheim in Tigerfeld verbracht worden, danach lebte sie im Jüdischen Altenheim in der Heidehofstraße. 9. Am 22. August 1942 wurde sie nach Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie einen Unterschenkelbruch erlitt, von dem sie sich lebenslang nicht völlig erholen konnte. Sie gehörte aber zu den wenigen Überlebenden des Lagers und konnte 1946 nach New York auswandern, wo sie im Oktober 1967 in einem Altersheim starb. Henriettes Tochter, Alexandrines ältere Schwester Ruth, verheiratete Kaufmann konnte in die USA fliehen, wo sie im Jahr 2008 verstorben ist.

Weitere Angehörige der Familie Ebstein, die von den Nazis ermordet wurden, sind Alexandrines Halbschwester Johanna Falk, geb. Ebstein, die mit ihrer Familie in Stuttgart wohnte (Uhlandstr.),sowie ihre Halbschwester Lina Ebstein, geb. Ebstein, die in Pforzheim gewohnt hatte. Opfer aus der Familie Guggenheim sind Ferdinands Tante Helene Levie, geb. Weingarten, ihr Sohn Julius Levie und dessen Ehefrau Irma, geb. Lachotzky. (Hamburg Gneisenaustr. 5)

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© Klaus Maier-Rubner, Initiative Stolpersteine Göppingen e.V.
© Bild: Anke Redies, Cannstatter Stolperstein-Initiative

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